Dienstag, 25. Juni 2013

"Niemand hat vor, einen Überwachungsstaat zu errichten"

Stimmt, niemand formuliert die Absicht, denn dieser Überwachungsstaat existiert ja schon längst. Jetzt geht es Politik und Geheimdiensten nur noch darum, ihn stetig auszubauen und technisch up-to-date zu bleiben. Das Bekanntwerden der britischen und amerikanischen Spionageoperationen Tempora bzw. PRISM, die das weltweite Datennetz betreffen sollen, offenbart wahrscheinlich nur die Spitze eines gigantischen Eisberges. Regierungen, die ihrer Bevölkerung nicht über den Weg trauen und gern alles über sie erfahren möchten, jeden kleinsten Lebensbereich ausspähen, um uns vorgeblich vor „Terrorismus“ zu schützen, entfernen sich immer mehr von den Werten der Aufklärung und den in den letzten dreihundert Jahren erkämpften demokratischen Grundrechten. Dabei müssen wir uns fragen, ob nicht Benjamin Franklins Worte: „Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit“ für uns alle gelten.

Kein #Aufschrei, keine Empörung - ach Moment, es ist ja nicht "unsere" Regierung, die uns ausspioniert, das sind ja die Amerikaner*innen und Brit*innen, die unser aller Internetkommunikation mitlesen, speichern, auswerten, vielleicht auch irgendwann gegen uns verwenden - also doch alles weniger unser Problem, wir können ja eh nichts machen?

Weit gefehlt. Zum einen kann und muss die Bundesregierung dazu gebracht werden, entschieden gegen die weltweite Spionage durch Geheimdienste anderer Staaten vorzugehen - wenn diese Regierung das nicht zu leisten im Stande ist, braucht es eine neue. Zum anderen muss aufgeklärt werden, inwieweit deutsche Geheimdienste (wie Verfassungsschutz und BND) von abgeschöpften Informationen profitiert haben und dann müssen sich diejenigen, die Grundrechte mit Füßen getreten haben und immer noch treten, entsprechend verantworten.

In dieser Situation fordert nun Holger Stahlknecht, seines Zeichens Innenminister von Sachsen-Anhalt, nicht genau das, sondern will mit einem zum „Gesetz zur Neuregelung der Erhebung von telekommunikations- und telemedienrechtlichen Bestandsdaten“ adäquaten Landesgesetz Geheimdiensten (insbesondere gilt das für den Verfassungsschutz) und Polizei noch mehr Vollmachten zur Spionage geben. Nachdem schon der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur "Bestandsdatenauskunft" verabschiedet hat, will nun der Innenminister das Ausforschen der persönlichen Daten von Bürgerinnen und Bürgern in Sachsen-Anhalt legalisieren, was sich nahtlos an andere Law-and-Order-Gesetze, wie das neue Polizeigesetz, anfügt. Allem Anschein nach entwickeln sich die Dinge immer mehr hin zu einer dystopischen Postdemokratie nach Orwell'schem Vorbild, wenn wir unsere Bürger*innen- und Freiheitsrechte nicht endlich vehement verteidigen.

Kein Mensch würde seine Urlaubsfotos, Briefe oder sein Tagebuch freiwillig an irgendwelche fremden Personen schicken und trotzdem landen vermutlich alle E-Mails, digitalen Fotos und Terminkalender irgendwo – wo wissen wir zwar nicht genau, aber es diene ja unserer Sicherheit. "Wer nichts zu verbergen hat, hat ja auch nichts zu befürchten" ist die gängige Losung derer, die damit kein Problem haben. Doch was ist mit Edward Snowden, der, weil er nicht mehr länger verbergen wollte, was die NSA so alles im Schilde führt, nun vom FBI gesucht wird und für 30 Jahre hinter Gitter soll? Jede*r sollte einen Staat fürchten, der alles wissen will, denn erstens geht es ihn einfach nichts an, was die Menschen denken, schreiben und fotografieren und zweitens kann alles irgendwann einmal gegen die nun "gläserne" Person verwendet werden.


Fakt ist: es ist unser Leben und nur wir sollten darüber entscheiden, was zugänglich und öffentlich gemacht wird. Im Moment tun das aber eher Leute wie der umtriebige Rainer Wendt (DPolG), der Obama für seine Spionage auch noch lobt: „Präsident Barack Obama argumentiert mutig, entschlossen und er hat fachlich hundertprozentig recht“, da das „wertvollste“ Bürger*innenrecht immer noch der "Schutz vor Terror und Kriminalität" sei. Wenn hier ein Gewerkschafter und Polizist glaubt, Bürger*innenrechte gegeneinander ausspielen zu können, sollte man ihn vielleicht mal auf seine Verfassungstreue überprüfen oder vom "Verfassungsschutz" als mutmaßlichen "Extremisten" überwachen lassen.

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