Donnerstag, 1. September 2016

Wer Deutschland dient, kann nicht vernünftig sein! Ohne Pazifismus gegen die Bundeswehr

In Halle tritt die Bundeswehr gerne auf: In den letzten Jahren war sie stets beim Laternenfest zugegeben, auch auf anderen Stadtfesten durfte und darf sie weiterhin nicht fehlen. Zu sehen gab es am Stand des nationalen Militärs meist einen vermeintlich informativen Truck, ein bei Kindern durchaus beliebtes Trampolin [1], sowie Waffen und gepanzerte Fahrzeuge zum neugierigen Vergnügen. Ziel der ganzen Aktionen ist es, die Besucher*innen so früh wie möglich hierhin zu locken, also zum halleschen "Karrierebüro" der Bundeswehr, denn hier kann man herausfinden, wie man sich zum jahrelangem Dienst an der Waffe verpflichten kann. Wie der Name "Karrierebüro" bereits suggeriert, wird mit den angeblichen Vorteilen dieser Verpflichtung auch nicht hinter dem Berg gehalten: Bei der Bundeswehr gibt es die vom Neoliberalismus und der daraus resultierenden Perspektivlosigkeit vernichteten Aufstiegsmöglichkeiten noch, es gibt dort einen sicheren Job mit guter Bezahlung und festen Strukturen - so wird man es den Interessent*innen zumindest erklären. Für diejenigen, die nicht bereit sind, ein rein materielles Verhältnis zu ihrem eigentlich gehassten Job einzugehen, gibt es als Bonus noch die Behauptung, dass die Bundeswehr eine Arbeitgeberin sei, die die Angestellten an ihre Grenzen bringt und ihnen durch Zwang, Überforderung und Disziplinierung ermöglicht zu wachsen. So wird die Ausbildung bei der Armee zur rustikalsten Form der Selbstoptimierung. 
 
Außerdem wirbt die Bundeswehr, die sonst behauptet keine „Rambos“ haben zu wollen und eigentlich "familienfreundlich" und gleichstellungspolitisch auf der Höhe zu sein, mit der perfekten Atmosphäre für jeden Macker-Typus. So geht es in den Werbesprüchen und -videos darum, dass die Militär-Karren viel mehr PS hätten und man bei der Marine sehr gut rumballern kann. Dazu gibt es den ziemlich kitschigen Hinweis auf "echte Kameradschaft" und die Ehrenhaftigkeit und Härte, die man im Dienst beweisen würde - die Werbeoffizier*innen bedienen also das nicht aussterben wollende Klischee des 1000x totgeglaubten Männerfilms. 
 
Nach all' dem Geld und Mackertum wird für die immer noch Unentschlossenen endlich auch die Moral aufgeboten. Ähnlich wie in moralisierenden Sonntagsreden der Bundespolitiker*innen, führt die deutsche Armee an, dass sie doch für Frieden, Freiheit, Demokratie und Sicherheit stünde. Als hätte es die Kunduz-Affäre, bei der ca. 150 afghanische Zivilist*innen ihr Leben lassen mussten, nie gegeben und als wäre nicht deutlich geworden, dass die letzten Einsätze der Bundeswehr ihre Ziele stets verfehlt haben, wird die angeblich fortschrittliche Agenda in den Raum gestellt. Somit wird es fast zum moralischen Gebot endlich die Waffe in die Hand zu nehmen. Dass das wenige glauben und noch weniger überzeugt, zeigt aber schon die Tatsache, dass solche altruistischen Elemente nur einen kleineren Teil der Werbekampagne einnehmen - Geld, Selbstoptimierung und Mackertum werden zu Recht als deutlich zugkräftiger eingeschätzt.
 
 
Dass liegt hauptsächlich daran, dass eben Marketing betrieben wird: Da ein Personalproblem vorliegt und kaum jemand Bock auf Tarnfarbe hat, müssen die erfolgsversprechenden Gruppen intensiver angesprochen werden. Dass sind nach der richtigen Analyse der Armee vor allem Menschen, für die es ökonomisch Sinn macht, sich über Jahre zu verpflichten (bezahltes Studium, Ausbildung bis zum Meister, Sicherheit im Job & Aufstiegschancen) und darüber hinaus Menschen, deren Wertesystem ein Engagement dort sinnvoll macht, da es Ehre, Stärke, Herumballern und Kameradschaft impliziert. Zwischen Menschen, die keine Wahl zu haben glauben und solchen, die sich ohnehin zum Militarismus hingezogen fühlen, muss sich Bundeswehr, inzwischen bekanntlich ohne Wehrpflicht, also immer wieder Nachwuchs heraussuchen.
 
Die Tatsache, dass die genannten altruistischen Motive nur bedingt eine Rolle spielen, sorgt dafür, dass die Enttäuschung bei den neuen Rekrut*innen am Ende geringer ausfällt. Denn nach einer konkreteren Beschäftigung mit den Inhalten und Tätigkeiten einer nationalstaatlichen Armee würde auffallen, dass die Bundeswehr Frieden, Freiheit und Demokratie sicherlich nicht beschützt und auch zur Sicherheit ein eher gespaltenes Verhältnis hat. Wie im aktuellen Weißbuch der Bundeswehr von 2016 ohne Probleme zugegeben wird, sieht sich die Bundeswehr vor allem der Sicherung der bestehenden internationalen Ordnung verpflichtet, wozu der freie Zugang zu den globalen Märkten - also Export und Import für das deutsche Kapital - genauso gehört, wie die Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen wie dem NATO-Partnerland Türkei. Auch der Bundespräsident Gauck, der ja mehr Verantwortung und deutsche Werte in der Welt fordert, argumentiert ohne den Widerspruch zu erkennen damit, dass die Weltordnung beschützt werden müsse, weil Deutschland immens von ihr profitiere. Deshalb kann es unter Umständen durchaus sein, dass deutsche Truppen auf der richtigen Seite, also der von Freiheit, Frieden und Demokratie, kämpfen, denn die bestehenden Einsätze gegen den massenmordenden "Islamischen Staat" können an sich nicht schlecht sein. Aber es ist niemals das primäre Ziel der Bundeswehr, sondern immer nur Nebeneffekt. 
 
Das zeigt sich auch deutlich am Beispiel Afghanistan: Im von Deutschland verwalteten Bereich konnte die afghanische Zivilbevölkerung zweifelsohne freier Leben als unter den Taliban. Das hinderte die Bundeswehr aber nicht daran, hunderte zivile Opfer zu verursachen. An der "Kunduz-Affäre" von 2009, also der Tötung von ca. 150 afghanischen Zivilist*innen durch einen deutschen Offizier [2], sieht man wohin die nationale Logik beim Militär führt: Lieber tötete man hunderte „Fremde“ als auch nur einen der „eigenen Soldaten“ zu gefährden. Und als sich der Taliban-Siegeszug abzeichnete und keine Stabilisierung einkehrte, hatte man auf deutscher Seite nichts Besseres zu tun, als zunehmend für Bündnisse mit lokalen Warlords und Islamisten zu werben und sich dann zurückzuziehen. Die afghanischen Zivilist*innen, die für die Deutschen gearbeitet hatten, wurden teilweise zurückgelassen und heute bestreitet die Bundesrepublik einfach, dass es in Afghanistan Krieg und damit einen legitimen Fluchtgrund gäbe, obwohl man selbst aus dem Krieg geflohen ist. Hier sieht man gut, was vermeintlich humanitäre Einsätze wirklich sind: Der deutsche Staat formuliert hier Ziele, wie den Erhalt der gewinnbringenden internationalen Ordnung und den Fortbestand der guten Beziehungen zu den USA und greift deshalb irgendwo ein und haut wieder ab, wenn es nicht funktioniert. Die dortige Bevölkerung ist dabei ziemlich egal, die möchte man vor allem nicht in Deutschland haben, aber während des Einsatzes als möglichst stille Kriegsopfer und Helfer*innen, an denen die nach dem Abzug übrig bleibenden Kräfte ein Exempel statuieren können.
 
Auch wenn dies den Akteur*innen sehr oft eher peinlich ist und die rücksichtslos durchgesetzten deutschen Interessen auf vielen Werbeplakaten gar nicht vorkommen, zeigen sie sich doch immer wieder: Der neue Slogan „Wir.Dienen.Deutschland“ macht schon ziemlich deutlich, wohin die Reise geht, zwar um die Welt, aber immer für den deutschen Staat und seine wirtschaftlich bestimmten Interessen. Dazu passt, dass man nach den Olympischen Spielen mit dem guten Abschneiden der deutschen „Sportsoldat*innen“ warb, die etliche Medaillen „für Deutschland“ gewonnen hätte. Allein die Existenz dieser speziellen Soldat*innen beweist, dass es eben um die Nation geht – denn wird irgendein Ort auf der Welt sicherer davon, dass die Medaillen an die olympische Auswahl aus Deutschland und nicht an irgendein anderes Team, welches sich sicherlich auch darüber freut, gehen? Nein, auch hier geht es um Interessen, dieses Mal im Sinne von nationalem Ruhm. Für die Rekrutierung bedeutet das auch nichts Gutes, denn neben den genannten werden damit zusätzlich überzeugte Nationalist*innen geworben [3], die den Sinn der Bundeswehr zwar durchschaut haben, ihn aber aufgrund ihrer Ideologie nicht ablehnen.
 
Aber auch diejenigen, die sich nicht für die falschen Werte oder die Nation, sondern wie angesprochen für einen sicheren Job oder Action und Spaß am Arbeitsplatz interessieren, werden von ihrer Verpflichtung enttäuscht werden. Wenn die Bundeswehr davon spricht, dass man bei ihr an seine*ihre Grenzen gehen, sein*ihr Limit erleben und tolles Gerät herumfahren kann, verschweigt sie, dass die Panzerwagen einen Sinn haben. Denn die Chance im Einsatz getötet  oder verwundet zu werden, töten zu müssen und in der Ausbildung von Vorgesetzten fertig gemacht zu werden, ist hoch und gehört zum Alltagsgeschäft einer Armee. Wer dort eintritt, verpflichtet sich auf Jahre zu Befehl und Gehorsam und zu einer Kameradschaft, die im Gegensatz zur Freundschaft nicht freiwillig gewählt werden kann. Im alltäglichen Kollektivismus der Truppe kommt es daher immer wieder zu Unterdrückung, Mobbing-Fällen und besonders rassistischer und sexistischer Anfeindung. Und auch wer seine Ausbildung erfolgreich hinter sich bringt und der Kameradschaft genauso etwas abgewinnen kann, wie dem Sterben und Töten auf Befehl, leidet nicht selten nach dem ersten, vielleicht aber auch erst nach dem dritten oder vierten, Auslandseinsatz an einer Post-Traumatischen Belastungsstörung (PTBS) für die es dann weder Verständnis, noch ausreichend Therapieplätze gibt.
 
Als Linksjugend Halle können wir deshalb nur unsere Ablehnung gegenüber der Bundeswehr und den Orten ihrer Rekrutierung kundtun und nutzen dafür den 1. September, den internationalen Weltfriedenstag. Allerdings machen wir uns dabei nicht gemein mit denjenigen, die Waffengewalt, auch gegenüber dem gewollten und angekündigten Massenmord, weiterhin für grundsätzlich falsch halten. Wir sind keine Pazifist*innen, denn für uns sind notwendige Kriege denkbar – wie der Einsatz der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland einer war.  Dass ändert aber nichts daran, dass wir die Bundeswehr in ihrer jetzigen Ausrichtung und als Armee deutscher Interessen ablehnen. Sie hat die Verhinderung der Mordtaten des Islamischen Staates oder des Diktators Assad genauso wenig zum eigentlichen Ziel, wie sie die Verbreitung von Demokratie fördert. Vielmehr versucht sie nach dem Ende Wehrpflicht, also seitdem sie Menschen nicht mehr zum temporären Mitmachen zwingen kann, noch intensiver Menschen mit den falschen Gründen dafür zu gewinnen, sich zum Kanonenfutter für diese Interessen machen zu lassen. Wir stellen darüber hinaus fest, dass sich mit dem neuen Diskurs um die größere Rolle Deutschlands in der Welt und der bestehenden Aufrüstung keine Verbesserung zu erwarten ist. Das deutsche Militär wird jede „humanitäre“ Mission jederzeit über Bord werfen, wenn es stattdessen Handelswege zu verteidigen gibt und man feststellt, dass die Partnerschaft zu dieser und jener Diktatur doch ganz wertvoll sein kann, wie es im Rahmen der Türkei-Politik gerade passiert. 
 
[1] Dass die Bundeswehr kindgerecht wirbt, gehört eben zur Geschäftspraxis, wie das Bundeswehr Bravo Camp auf Sardinien zeigte: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/bravo-bundeswehr-werbung-fuer-aventure-camp-auf-sardinien-a-985112.html Dass lässt sich auch damit erklären, dass man gar nicht mehr so lange warten muss, um aus Kindern Soldat*innen zu machen, denn die Bundeswehr rekrutiert auch gerne unter-18-Jährige: http://www.welt.de/politik/deutschland/article152417620/Sind-Minderjaehrige-bei-der-Bundeswehr-Kindersoldaten.html
[2] Die Tatsache, dass der Offizier nicht etwas sanktioniert, sondern eben befördert wurde und nun den stolzen Titel „Brigadegeneral“ tragen darf, kann nicht oft genug betont werden: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-oberst-georg-klein-zum-brigadegeneral-befoerdert-a-892278.html
[3] Dass es unter denjenigen, die die Nation verherrlichen, hohe Schnittmengen zu den klassischen Mackern gibt, scheint logisch. Beide weisen autoritär strukturierte Persönlichkeitselemete auf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen